Verfahrensverlauf – Besonderheiten des Jugendstrafverfahrens 4/7

Grundsätzlich gelten auch im Jugendstrafverfahren die allgemeinen Verfahrensvorschriften aus der Strafprozessordnung. Besonderheiten ergeben sich jedoch aus den Vorschriften des JGG. Diese besonderen Verfahrensvorschriften gelten für Heranwachsende allerdings nur in den Fällen des § 109 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 S. 1.
Ebenso wie das Strafverfahren gegen Erwachsene gliedert sich auch das Jugendstrafverfahren in die Schritte:

•    Ermittlungsverfahren,
•    Zwischen- und Hauptverfahren,
•    gegebenenfalls Rechtsmittel verfahren und
•    Vollstreckungsverfahren.

Im Ermittlungsverfahren muss der Jugendstaatsanwalt alle be- und entlastenden Umstände der Straftat vollständig ermitteln. Die §§ 43, 44 JGG konkretisieren den Umfang der Ermittlungen bei Verfahren gegen Jugendliche: so ist bereits im Vorverfahren besonderes Augenmerk auf die Ermittlung des Werdegangs sowie der Lebens- und Familienverhältnisse, das bisherige Verhalten des Beschuldigten und alle übrigen Umstände, die zur Beurteilung seiner seelischen, geistigen und charakterlichen Reife dienen können zu legen. Gegebenenfalls kann sogar ein Sachverständigengutachten zur Feststellung des Entwicklungsstandes oder des Vor-liegens schädlicher Neigungen eingeholt werden. Ist eine Jugendstrafe zu erwarten, soll der Staatsanwalt oder Jugendrichter den Beschuldigten schon vor der Hauptverhandlung vernehmen, umso schon frühzeitig einen persönlichen Eindruck vom Jugendlichen zu erhalten.
Kann die Staatsanwaltschaft gegen den Beschuldigten keinen sog. hinreichenden Tatverdacht feststellen, stellt sie das Verfahren mangels Verfolgbarkeit ein. Besteht hingegen ein hinreichender Tatverdacht, wird Anklage gegen den Beschuldigten erhoben und sogleich das förmliche Hauptverfahren eröffnet.

Die Diversion nach §§ 45, 47 JGG ist eine weitere Besonderheit des Jugendstrafverfahrens und bezeichnet die Möglichkeit minderschwere Straftaten ohne Eröffnung eines förmlichen Strafverfahrens durch das Absehen von einer Strafverfolgung zu erledigen. Zumeist ist damit die Verhängung erzieherischer Maßnahmen verbunden, wie z.B. die Heranziehung zu gemeinnützigen Arbeiten. Zweck eines solchen formlosen Erziehungsverfahrens ist die Förderung der Resozialisierung des Täters und die Entlastung der Justiz von Bagatellverfahren. Die diversionelle Erledigung eines Strafverfahrens kann im Rahmen des Ermittlungsverfahrens durch den Staatsanwalt, aber auch noch nach Eröffnung des Hauptverfahrens durch das Gericht erfolgen.

Im Mittelpunkt des Hauptverfahrens steht die Hauptverhandlung, für die im Jugendstrafrecht gleich mehrere Sonderregelungen gelten. Strafverfahren gegen zur Tatzeit jugendliche Straf-täter finden grundsätzlich unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Bei Verfahren gegen Heranwachsende ist die Öffentlichkeit zugelassen, kann aber ausgeschlossen werden, wenn dies im Interesse des Heranwachsenden ist. Der Ausschluss der Öffentlichkeit soll helfen Hemmungen abzubauen, Bloßstellungen und Stigmatisierung vermeiden aber auch übermäßigen Geltungsdrang entgegenwirken.
Während der Hauptverhandlung muss der Jugendliche grundsätzlich anwesend sein, damit sich das Gericht einen persönlichen Eindruck von ihm verschaffen und der erzieherische Effekt gewahrt werden kann. In Abwesenheit des Angeklagten darf nur verhandelt werden, wenn dies nach dem allgemeinen Prozessrecht auch für Erwachsene vorgesehen ist, zusätzlich besondere Gründe hierfür vorliegen und der Staatsanwalt zustimmt. Sind jedoch aus der Erörterung bestimmter Umstände Nachteile für die weitere Entwicklung des Jugendlichen zu befürchten, kann er zeitweise von Teilen der Verhandlung ausgeschlossen werden.
Erziehungsberechtigte und gesetzliche Vertreter des Jugendlichen haben in der Hauptverhandlung grundsätzlich ein Anwesenheitsrecht, können aber ebenfalls zeitweise von der Verhandlung ausgeschlossen werden, wenn gegen ihre Anwesenheit Bedenken bestehen. Soweit der Angeklagte das Recht hat gehört zu werden, steht dieses Recht auch seinem Erziehungsberechtigten und dem gesetzlichen Vertreter zu. In der Hauptverhandlung muss ihnen deshalb, ebenso wie dem Angeklagten, das „letzte Wort“ erteilt werden.
Wird der Angeklagte verurteilt, müssen die Urteilsgründe neben einer Schilderung der Tat auch eine sorgfältige Würdigung der Persönlichkeit des Jugendlichen oder Heranwachsenden, seiner Entwicklung und seines sozialen Umfeldes enthalten. Anders als im Strafverfahren gegen Erwachsene kann im Jugendstrafverfahren davon abgesehen werden, dem Angeklagten die Gerichtskosten aufzuerlegen.

Die Möglichkeiten im sog. Rechtsmittelverfahren gegen eine Gerichtsentscheidung vorzugehen sind im Jugendstrafrecht erheblich eingeschränkt. Grund dafür ist, dass die richterliche Erziehungsmaßnahme und die begangene Tat in einem engen zeitlichen Zusammenhang stehen sollen. Unter einer zu langen Verfahrensdauer leidet die erzieherische Wirkung, denn der Jugendliche soll die Strafe als unmittelbare Folge seiner Tat begreifen.
Nach § 55 Abs. 2 JGG muss der Jugendliche zwischen den Rechtsmitteln der Berufung und Revision entscheiden, stets ist nur ein Rechtsmittel zulässig. Zudem kann eine Entscheidung über Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmittel nicht wegen deren Auswahl oder Umfang angefochten werden. Nur hinsichtlich der Schuldfrage und damit wegen der Verurteilung als solche, also darüber, ob eine bestimmte Straftat vorliegt oder nicht, kann eine solche Entscheidung angefochten werden.

Das Strafvollstreckungsverfahren umfasst als letzter Abschnitt des Strafverfahrens Maßnahmen, die zur Ausführung des Urteils erforderlich sind. Dazu gehören z.B. die Einweisung in eine Jugendarrest- oder Jugendstrafanstalt, die Ladung des Verurteilten zum Strafantritt oder die Gewährung von Strafaufschub.

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Lesen Sie im nächsten Abschnitt mehr über das vereinfachte Jugendstrafverfahren. Hier gehts zu Teil 5.